KI-Texterstellung im Content Marketing: 3 Thesen darüber, was Texte mit Waschmaschinen und Brot zu tun haben
Es gibt schon länger mehrere Tool-Anbieter für KI(-assistierte) Texterstellung. In den letzten Jahren wurde gelegentlich darüber diskutiert, in Content-Marketing-Podcasts, auf SEO-Konferenzen. Mit ChatGPT ist das Thema im Dezember 2022 explodiert. LinkedIn und Twitter sind voll damit. Auch, weil ChatGPT frei nutzbar ist. Jeder bekommt auf Knopfdruck mindestens Absätze, nach Wunsch auch ganze Texte. Was wird das mit einer Branche machen, in der die hohe Qualität und die zielgenaue Relevanz der Texte das Maß aller Dinge ist? Wie lange wird es dauern, bis „100 % ohne KI erstellt“ ein Qualitätsmerkmal ist, genauso (wenig?) vertrauenswürdig wie ein Bio-Siegel? Oder gehen alle Agenturen unter, die ohne KI schreiben, weil es nicht mehr wirtschaftlich sein wird? Die Diskussionen gehen von maschinenstürmerischer Technologieverweigerung bis hin zu Goldgräberfantasien. Hier der Versuch einer Einordnung. Disclaimer (und ich frage mich, wie oft wir diesen Disclaimer in Zukunft lesen werden): Dieser Text ist gänzlich handgeschrieben und ohne KI entstanden.
Einen Artikel darüber, zu welcher Jahreszeit Sie welche Gemüsesorten im Hochbeet ziehen können? Geben Sie mir 20 Minuten mit dem KI-Tool und weitere 40 Minuten zum „Glattziehen“. Einen ausführlichen Artikel, der Schritt für Schritt erklärt, wie ich eine passende Grafikkarte für meinen Computer finde, die alte aus- und die neue einbaue? In einer, vielleicht zwei Stunden ist das machbar. Und zwar korrekt, ohne Schnörkel, gut lesbar (Letzteres nimmt einen Großteil des „Glattziehens“ in Anspruch) und eine Nutzerintention befriedigend. Und was eine Nutzerintention befriedigt, kann ranken. Die KI beschleunigt die reine Produktion von Buchstaben erheblich. Das führt mich zu …
Ganz nüchtern betrachtet wird eine Ware, die plötzlich durch einen Technologieschub schnell und in Masse produziert werden kann, entwertet. Sie wird aber auch Massenware. Hier stehen wir bei Texten vor einer Dynamik wie bei jeder anderen Ware auch: Massenware hat ihre Berechtigung und hat sogar unser Leben massiv verbessert. Jeder kann sich heute Bücher kaufen, da sie nicht mehr per Hand gefertigt werden. Es steckt weniger (bezahlte) Arbeitskraft in der Herstellung des einzelnen Buches. Dasselbe gilt für Waschmaschinen, Kleidung, Bettgestelle und Brot. Wobei: Spätestens bei Brot merken wir, dass wir ein „handgefertigtes“ Brot vom „echten Handwerker“ tendenziell wertiger finden, höherklassiger, irgendwie besser halt. Mit Liebe gemacht, mit mehr Sorgfalt, aus einer Tradition heraus, handverlesen, so was. Das handgefertigte Brot vom echten Handwerker kann auch richtig schlecht sein, im Einzelfall. Es kann unseren Geschmack nicht treffen oder der Bäcker hatte einen schlechten Tag. Ganz allgemein ist aber „handcrafted“ Brot einfach geiler – bloß können und wollen wir uns das nicht immer leisten. Und müssen es für den Alltag vielleicht auch nicht?
Nicht alle Texte sind gleich kreativ oder vertragen das gleiche Maß an Kreativität
Ein bisschen hinkt der Vergleich. Denn verschiedene Waren haben auch verschiedene „Kunstfertigkeitsgrade“. Während eine Waschmaschine tatsächlich eine komplett standardisierte Serienproduktion ist, kann ein Bettgestell eine gewisse Kreativität erfordern. Beim Brot ist es noch mehr – hier sprechen einige Bäckerinnen sicherlich schon von Kunst. Und dann Texte: Das ist Kreativität pur, oder? Wobei, der Text über die Gemüsesorten zu verschiedenen Jahreszeiten im Hochbeet ist mehr Bettgestell als Brot: Es ist ein Text über relativ feststehende Fakten, die zwar verschnörkelt werden können, aber ... wollen wir das überhaupt? Ich will doch nur Gemüse pflanzen. Unweigerlich kommt mir das Bolognese-Rezept in den Sinn, das mit einem sinnlichen Rundgang um das Kolosseum an einem sommerlichen Morgen beginnt, während ich vor dem Supermarktregal stehe und nur die verdammten Zutaten wissen möchte.
Dann gibt es Texte, die noch nicht zu Ende erzählt sind. Ein Beispiel ist dieser Text: Er wird so nicht von einer KI schreibbar sein, jedenfalls nicht in den nächsten Jahren.
Und es gibt Grenzfälle. Immer dann, wenn Meinung, Haltung, persönliche Erfahrung für einen Text zwar nicht essentiell sind, ihn aber VIEL besser machen würden. Ich kann über Architektur, Digitalisierung in familiengeführten KMU oder die Verkehrswende sehr faktisch und trocken schreiben. Ich kann aber auch „Persönlichkeit“ reinbringen, denn diese Themen leben davon: Perspektive, Leidenschaft, Charakter, Meinung, wer ich bin oder wen ich repräsentiere. Und eine Marke ist nichts anderes als eine Persönlichkeit.
Alles wird (noch) mehr Brand
Schon heute ist Content Marketing viel Marke, aber auch SEO wird den Weg des EAT weitergehen müssen und noch mehr zur Marken-Meta-Disziplin werden. Letztlich muss auch Google irgendwie entscheiden, wer von den 20935 Texten zum Reifenwechseln, Hochbeet-Bepflanzen und Grafikkarten-Auswechseln auf Platz 1 steht. Die Wahl wird auf die stärkste, vertrauenswürdigste Branchenautorität, also eine Marke, fallen. Was haben wir jetzt also entdeckt? Während mein Text über das Auswechseln der Grafikkarte gar nicht so viel Mensch braucht, ist das unverzichtbar für meinen visionären Text über „die Zukunft der Gaming-Industrie aus Sicht eines Mikrochipherstellers“. Beides findet im gleichen Magazin statt, interessiert eventuell sogar dieselbe Person, aber das „Auswechseln“ kauft man mir nur noch ab, wenn ich auch die Vision habe. Aber Moment: War das nicht vorher auch schon so? Irgendwie schon, aber die Diskussion über KI-Content macht das deutlicher. Und überhaupt: Obwohl eine KI helfen kann, einen Artikel über eine vergleichsweise simple Step-by-step-Anleitung zu schreiben, muss ich als Redakteur trotzdem in der Lage sein, den Wahrheitsgehalt des Geschriebenen zu prüfen und eventuell Formulierungen anpassen, für die Sachkunde erforderlich ist. Ich muss auch den Schreibprozess moderieren und festlegen, welche FAQs oder Randthemen zur behandelten Frage, wie ich eine Grafikkarte auswechsele, gehören (und welche nicht). Die Rolle des Redakteurs verändert sich also. Das führt uns zu …
Anders formuliert: Die KI ist für den Redakteur 2023+ irgendwas zwischen Werkzeug, persönlicher Assistent und Sparringspartner. Eine KI kann auf der Grundlage eines gründlichen Briefings und mit genug Hintergrundinformationen dabei helfen, Themenideen zu entwickeln, Vorschläge für Überschriften-Strukturen zu machen, Fragen zu beantworten und Zusammenfassungen, Fazits und Metadescriptions vorzuschlagen. Mit der KI gibt es nie wieder ein leeres Blatt (oder Textdokument), falls ein Redakteur davor Respekt hat. Der Redakteur wird immer mehr strategisch und anleitend, immer weniger als „Steineklopfer“ arbeiten, mit Ausnahme dort, wo wirklich visionäre Texte und viel Persönlichkeit erforderlich sind. Aber nehmen wir einen Grenzgang zwischen Pragmatismus und Kreativität als Beispiel: einen Text mit dem Titel „Was Content Marketing ist und wie es Ihre Kommunikation revolutionieren wird“:
- Der Redakteur überlegt, welche Abschnitte der Text braucht, welche Überschriften, welche Themen, was die wichtigsten Fragen für die Persona sind. Gibt es Begriffe, die eingeführt werden müssen, was ist der Kenntnisstand der Persona?
- Die KI schreibt den 1. Teil, also den Abschnitt „Was ist Content Marketing …“, um dem User den Kontext und Erklärungen zu liefern: CM ist nachfrageorientiert, relevant, mit Inhalten, entlang der Customer Journey und so weiter.
- Der Visionär versieht Teil 1 mit dem Salz des Lebens und gibt dann seine Haltung, seine Persönlichkeit dazu, seine Erfahrungen mit Kunden, seine persönliche Interpretation verschiedener Customer-Journey-Phasen.
So entstehen Texte, in denen die KI zwar keinen Content erstellt, aber ein Tool ist wie das CAD-Programm für die Architektin: eine Hilfe. Auch bei der digitalen Erstellung von Architekturplänen wurde gemäkelt. Schließlich sei die Beziehung zwischen der Architektin und ihrem Grundriss eine andere, wenn Papier und Stift zum Einsatz kommen.
Bei der Texterstellung gibt es zwei Modi: zum einen die Kreativleistung, also das Thema brainstormen, den roten Faden überlegen, strukturieren, den SEO-Cluster bilden, kurz: das kreative Textkonzept. Zum anderen das eigentliche Schreiben einzelner Abschnitte. Vermutlich haben wir bald mehr Zeit für Ersteres.
Die Sache mit der KI ist entschieden: Sie ist jetzt da und wird nicht mehr gehen. Es wird Dienstleister geben, die als „Edelfeder“ bekannt sind und „Craft-Content“ bieten. Das sind Texte (Bilder, Videos), die stark auf die Brand einzahlen werden. Das ist Content, der aufwendig, persönlich, sehr strategisch und durchgestylt ist. Es wird (weiterhin) Dienstleister geben, die massenhaft Texte produzieren. Die gibt es seit Jahren, sowohl als Agentur als auch als Portal für Freiberufler, die absolut minderwertige Texte für ein paar Euro produzieren. Aber diese Portale werden nicht mehr so viel Geld machen können, weil diese Dienstleistung stark an Wert verlieren wird. Und es wird Dienstleister geben, die beide Content-Kategorien so kombinieren, wie es für die Brand und Strategie passt. Und die Redakteure werden dabei ein bisschen weniger Blaumann und ein bisschen mehr Architektenkluft anhaben.