Der Künstler und das Wellenteilchen

Zeitreisen von 1991 – 2016 – 2041

Thorsten Bauer ist Lichtarchitekt und Künstler. Und Erfinder. Und Handwerker. Auf jeden Fall Philosoph und leidenschaftlich in Gesprächen über die digitale Zeit. Ein Interview, das zwar aus dem Ruder gelaufen ist – aber so ist das bei einem Ritt zwischen Wellen und Teilchen.

Ein Foto von einem Mann und eine blaue Sprechblase auf grauen Hintergrund.

artundweise: Was hast du vor 25 Jahren gemacht?

Thorsten Bauer: Da habe ich hauptsächlich Musik gemacht.

artundweise: Was hast du da gespielt?

Thorsten Bauer: Gitarre, Gesang. Und ich war auch Frontmann in einer Band. Ich war eigentlich ewig Frontmann. Ich habe auch komponiert und habe versucht zu singen und Gitarre zu spielen. Ich fand mich nie so richtig gut, war aber ziemlich erfolgreich mit den Bands.

Als ich 24 war, haben wir eine erste CD und eine Tour gemacht – vier Wochen durch Deutschland. Jeden zweiten Tag hatten wir ein Konzert, und danach habe ich aufgehört.

artundweise: Warum?

Thorsten Bauer: Danach kam ein Gefühl, wie “Das ist es jetzt. Es kommen nur noch mehr Sterne ans Hotel.”. Es wäre bei dem Prinzip geblieben: Hotelzimmer, irgendwelche Gigs, die Leute wären mehr abgegangen und hätten nicht nebenbei Würste auf irgendeinem Stadtfest in sich reingedrückt.

artundweise: Wie ging es weiter?

Thorsten Bauer: Dann habe ich begonnen, mich mit Videokunst auseinanderzusetzen. Da kamen die ersten Laptops, die auch was konnten. Ich hatte mir gerade einen gekauft und dann habe ich einen VJ gesehen, der hat zu Musik live Bilder gemacht. Das gab es bis dahin weltweit nicht. Da bin ich durchgedreht und habe zu meinen WG-Kollegen gesagt: Das werde ich tun. Und dann habe ich mit Musik aufgehört und habe damit angefangen. Und bin auf Partys gefahren und habe viel technisches Equipment aufgefahren, um Bilder zu Musik zu machen. Dann kam auch Techno auf, den ich immer gehasst habe, aber der hat mich dann auch gekriegt – zumindest die Partys. Also war ich dann VJ auf Partys. Damit bin ich irgendwann auf dem Fusion Festival gelandet, das mich dann geistig eingenordet hat – 1998. Und dann ging’s los.

artundweise: Also bist du schon immer ein Wellenreiter gewesen? Erst Luftwellen und dann Lichtwellen?

Thorsten Bauer: Total. Ich habe mich gleichzeitig auch immer sehr stark für Physik interessiert und da war tatsächlich das Wellenmodell das Zentrum meiner Auseinandersetzung, weil sich damit unglaublich viel beschreiben lässt.

Übrigens habe ich letztens gelesen, dass wir auch in Wellen riechen. Also wir riechen nicht wie früher angenommen die Form eines Moleküls, sondern die Eigenfrequenz. Die twisten quasi, die Moleküle. Und diese Frequenz, die nehmen wir wahr. Und deswegen riechen wir auch eine Frequenz. Augen, Ohren, Nase – sehen, hören, schmecken, ...

artundweise: So wird alles zu einem großen Ganzen.

Gut, jetzt bist du beim Licht hängen geblieben, aber dir reicht die Welle ja nicht. Du bist gleichzeitig mit Teilchen beschäftigt – ein ungelöstes Problem.

Thorsten Bauer: Total. Also Welle und Teilchen. Wobei die Verniedlichung ”Teilchen“ nicht wirklich passt. In der Architektur müsste man dann doch – aufgrund der Größe – Teile sagen. Aber richtig, genau das macht es aus: Wenn man Lichtwellen auf so fette Betonteile richtet, dann begegnen sich da zwei Counterparts, die sich vom materiellen Aspekt her betrachtet, nicht extremer gegenüberstehen könnten. Tonnenschwere Realität auf der einen Seite “Ich bin hier und ich bleibe auch hier – die nächsten Tausend Jahre”, und auf der anderen Seite hat man das Licht, das sozusagen vollkommen ephemer und flüchtig ist und sich durch eine Hand vor dem Projektor stoppen lässt. So begegnen sich da zwei Placeholder: die Realität mit der Fiktion – oder wie ich auch gern behaupte – mit dem Digitalen. Das besteht zwar auf der anderen Seite auch aus Nichts, aber hat gleichzeitig sehr viel Inhalt.

artundweise: Damit sind wir dann im Heute angekommen. Das ist gut, dann kannst du erzählen, was dich jetzt antreibt, denn das ist ja etwas anderes als noch vor ein oder zwei Jahren, nämlich genau die Kombination, die dich schon immer gereizt hat: die Kollision von Teilchen und Wellen und der Widerspruch von beidem. Allerdings auch die Vermischung von allem, wie zum Beispiel das Analoge ins Digitale übergeht und umgekehrt. Was ist das Besondere daran?

Thorsten Bauer: Das ist wahrscheinlich so eine Unlösbarkeit, die in diesem Konflikt steckt, die ich auch zutiefst in mir spüre. Es zieht sich wirklich wie ein roter Faden durch mein Leben. Auf dem Gymnasium waren meine Leistungsfächer Kunst und Physik – die Bedeutung und das Teilchen sozusagen. Damit greift die Frage aber sehr weit. Ich würde sagen, die tiefste Antwort zum Thema wäre: Auch wir als Wesen sind in dieser Konfrontation zwischen Geist und Materie. Und ich glaube, dass der Mensch als sehr junges Wesen dieser Evolution, das mit Selbstbewusstsein ausgestattet ist, mit diesem Umstand noch gar nicht klarkommt. In dem von dir beschriebenen Bild sind wir noch Dreijährige, die noch mit den Bauklötzen ”Verstand“, ”Ich erkenne mich“ und ”Was bin ich eigentlich“ spielen. Und in diesem Umgang sind wir noch sehr unbeholfen. Als das erste Wesen in dieser Erdevolution, das Bewusstsein erlangt hat. Und so steht sich auch der Körper (und die ganze physische Evolution) einem Geist oder Selbstbewusstsein gegenüber, der nicht aus der Materie zu beschreiben ist. Und dieser Konflikt fasziniert mich daran am stärksten. Das hört sich zwar sehr esoterisch an, aber man kann es weiter runterskalieren zu dem Moment in der Zeit, in dem wir uns gerade befinden, der extrem besonders ist. Wobei ich mich immer noch nicht ganz entschieden habe, ob ich es verfluchen soll, dass ich in diese Zeit geboren bin oder ob ich es feiern soll. Denn das Besondere an dieser Zeit ist, dass wir uns evolutionär gesehen im Epizentrum einer Explosion befinden. Wenn man Evolution als den Wechsel an Lebensumständen beschreibt, dann verändert sich gerade in kürzester Zeit so viel wie sich noch nie verändert hat. Und skaliert auf die Jahrtausende davor ist das eine Exponente, in der wir gerade in einen sehr kritischen aber auch aufregenden Moment hineingeboren sind. Und eine der Sachen, die passiert sind – und damit kommen wir auf das Modell ”Teilchen und Welle“ zurück – jetzt durch das Internet und von dem physischen erstmal losgelöste Bedeutungscluster Digital, das da unsichtbar irgendwo in Netzwerkknoten in der Welt ist, jetzt immer mehr mit der Realität aufeinanderprallt und beginnt sich immer mehr mit Realität zu vermengen. Das führt zu sehr großen Konflikten und auch zu sehr großen, neuen Potenzialen.

artundweise: Digital ist dabei Welle oder Teilchen?

Thorsten Bauer: Die Welle. Frieder Nake (ein Bremer Professor) sagte immer so schön ”things and signs“ – also ”Dinge und Zeichen“ – stehen sich gegenüber.

Die Bezeichnung ”Welle und Teilchen“ höre ich jetzt zum ersten Mal und das finde ich super. Im Bereich Licht nennt man das Paradoxon: Ein Status, der sich nicht entscheiden lässt. Also es gibt einen Umstand, der sich aus dem Naturgesetz heraus nicht eindeutig beschreiben lässt. Was erstmal etwas ziemlich Großartiges ist, weil Menschen sehr lange Zeit geglaubt haben, dass sich alles beschreiben lässt – in einem deterministischen Weltbild. Aber mit der Quantenphysik und eben genau solchen Phänomenen lässt sich genau sagen: Das ist beides. Das geht nicht in unseren Kopf rein und genau diesen Zwischenraum finde ich interessant. Da verbirgt sich etwas Neues, das mich reizt.

artundweise: Also würdest du sagen, das führt konsequent zu deinen künstlerischen Arbeiten die Eindeutigkeit aufzuheben: Ist es ein Gebäude oder ist es eine Textur? Ist es ein Lichtspiel oder ist es eine Projektionsfläche?

Thorsten Bauer: Es ist eigentlich ein bisschen der Versuch es so nah zusammen zu bringen bis eine Ununterscheidbarkeit zustandekommt. Erstmal starte ich mit der Annahme: Ich kriege das hin, Welle und Teilchen oder das Digitale und das Analoge in eine vollständige Konvergenz zu überführen. Das spannende Künstlerische ist, wenn du etwas wie zwei exponentielle Kurven die zueinanderlaufen, aber sich niemals berühren werden, in eine solche Nähe bringst. Dann machst du am Ende auch deutlich, was sie unterscheidet. Und darum geht es mir eigentlich. Es geht mir nicht darum das hinzubekommen, sondern eher um den Versuch und die Antwort darauf, warum du es eben nicht schaffst. Ich finde also den Versuch viel spannender als den Antrieb es hinzubekommen, weil ich auch weiß, dass es nicht geht. Das wird nichts. Geist und Materie, Welle und Teilchen, Digital und Analog – die kannst du nur in eine Näherung zueinander bringen. Mit unendlicher Steigung einer Exponentialen, aber ohne Berührung – never. Und dieser Zwischenraum, der ist mit ganz viel Spannung aufgeladen.

artundweise: Fliegen da Blitze oder was passiert in diesem Raum?

Thorsten Bauer: Du meinst, ob es Übertragungen gibt? Gute Frage. Das weiß ich noch nicht, ob ich dazu ja sagen würde. Ich weiß nur, dass das eine Auseinandersetzung ist, deren Frage jetzt nicht exklusiv irgendwo in einer Künstlernische diskutiert wird, weil sie jeden Menschen betrifft. Und zwar betrifft alle die Auseinandersetzung ”Ich bin jetzt Knochen, Fleisch und so ein Skelett und gleichzeitig habe ich eine Verbindung und bin Geist“. Und diese beiden Ebenen zusammenzukriegen, das ist auch eine Auseinandersetzung, die da drin steckt.

Das weicht aber von der Frage ab. Ich weiß nicht, ob da Blitze entstehen. Also für mich schon – gefühlt: ja. Da gibt es nicht nur Blitze, da geht es richtig ab.

artundweise: Also zwei steile Kurven, die sich asymptotisch annähern und nicht zusammenkommen, klingt wie ein guter Grund einfach nach Hause zu gehen und ganz analog zu werden.

Thorsten Bauer: Ja, das mache ich gerade auch. Ich bin im Moment an zwei Orten zuhause: einmal in Bremen. Drei Tage pro Woche sitze ich im Studio, schreibe und setze mich mit Dingen auseinander bei Urbanscreen, über meine eigenen Kontexte und Gedanken – hochdigital und urban. Und der andere Ort ist mein 365 Jahre altes Landhaus, das meine Frau und ich geerbt haben, das renoviert werden muss, und wo notgedrungen ganz andere Fragen meinen Tagesablauf bestimmen. Ich habe das aber nicht initiiert. Mir ist das zugefallen. Gleichsam ist es aber so, dass ich mich dort nicht mit Quantenphysik und Welle-Teilchen-Fragen auseinandersetze. Obwohl ich tue es dort auch – nur ein bisschen philosophischer als in Bremen, ein bisschen grundsätzlicher. Und das hat sich auch die letzten zwei Jahre verändert in meinem Leben. Dass es mich im Moment gar nicht so sehr reizt diese Kunst im Praktischen weiter auszuformulieren. Ich habe mir jetzt den Moment genommen und denke darüber nach, was das eigentlich im Kern ist, was ich da die letzten zehn Jahre gemacht habe und warum ich glaube, dass das mit dem Zeitgeist resoniert.

Es gibt da zum Beispiel diese berühmte Geschichte an der Hamburger Kunsthalle, die wir damals inszeniert haben. Was eine unserer erfolgreichsten Inszenierungen war.

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Da wir aber kein Budget hatten, musste ich das alles zeitlich so kompakt halten, dass ich am selben Tag der Aufführung die Projektion noch eingerichtet habe. Das bedeutet, in der Dämmerung habe ich sozusagen die Beamer angeschaltet und Einrichtbilder auf die Kunsthalle projeziert. Das sind so Raster. Das Steinraster dieser Kunsthalle ist sozusagen grob nachgezeichnet und dann muss ich diese Raster auf das Steinraster legen. Das sind einfach nur weiße, quadratische Striche. Und damit ist es dann getan, danach kann ich dann die Show starten. Das habe ich später auch gemacht. Allerdings wurde die Show zu früh angekündigt, und da sind Leute zu mir gekommen und haben mir zu dieser Arbeit gratuliert – zum Einrichten. Die haben nicht begriffen, dass das nicht die Kunst war, sondern es war noch das technische Einrichtbild. Die waren aber so begeistert davon, dass über zehn Minuten sukzessiv dieses Gitter irgendwann mit dem Gitter des Steinrasters übereinanderlag, dass sie gerührt und emotional zu mir gekommen sind. Worauf ich natürlich total erstaunt reagiert habe und sagte: “Sorry, aber die Show fängt gleich erst an.” Das klingt jetzt witzig, aber ich glaube, es gibt darin einen ernsten Punkt: Dass bei den Projection-Mappings ein Großteil der Begeisterung dadurch entsteht, dass wir es geschafft haben, so einen digitalen Inhalt kohärent mit so einem Gebäude in einen Seh-Eindruck, in ein Erlebnis zu packen. Dass sozusagen das Digitale da plötzlich irgendwie mit dem Realen übereinanderliegt und das passt. Das löst dann so eine Befriedigung aus: ”Jetzt ist mal alles eins, jetzt gehört alles zusammen.“

artundweise: Wir spielen mal vorab einen 10-Hertz-Basston und alle rasten aus.

Thorsten Bauer: Genau. Und dann weißt du auch, dass es nicht nur um die Musik geht, sondern auch um das Erlebnis Bass. Das ist genau das, was ich sagen wollte.

Es ist so: Du gehst in die Disko, weil du fühlst die Musik. Es geht also nicht nur darum, dass der DJ geil auflegt, denn zu 80% haben die Boxen die Leute begeistert und nicht er. Also das physische Erlebnis oder dass es irgendein Erlebnis dahinter gibt, das beschäftigt mich gerade, beziehungsweise was daran eigentlich so besonders ist. Was mache ich da eigentlich? Was für ein Vorgang passiert da eigentlich, wenn ich dann mappe und so? Und das verbindet sich gerade schlagartig mit tausend anderen Dingen, die ich beobachte: Wie sich Digitales entwickelt, wie Analogisierungen von digitalen Zusammenhängen passieren. Andersherum auch wie Digitalisierung passiert, wie sich Arbeit verändert. Unglaublich viele Kontexte der digitalen Revolution (sage ich mal, als sehr ausgelutschtem aber weit gedrungenem Begriff) verbinden sich mit diesen Erfahrungen des Video-Mappings. Und da bin ich gerade so am Hinhorchen und fange an zu schreiben. Ich fange an und bin noch nicht durch. Ich halte das gerade mal fest, was ich da entdecke. Alles abgeleitet aus der Arbeit und der Erfahrung des Mappings und der letzten zehn Jahre.

artundweise: Wird das ein philosophisches Werk oder einfach nur ein Notizbuch?

Thorsten Bauer: Es ist erstmal nur ein Notizbuch. Ich muss erstmal klarkriegen, was ich da sehe. Die Resultate zur Zeit sind, dass ich Vorträge halte, und das möchte ich auch gerne noch weiter professionalisieren. Das Zweite ist, dass ich manchmal mit irgendwelchen Jungs aus Digitalagenturen zusammensitze und Mittag esse und mit denen ziemlich spezielle Ideen hin- und herwerfe. Was mir irgendwie unheimlich viel Spaß bringt, weil das genau die Gedankenwelten sind, die wir hier vorhin hatten, die aus der Kunst hergeleitet sind. Ich bin Künstler. Meine gesamte Näherung ist darüber geschehen, und alles andere habe ich nur aufgeschnappt. Meine eigentliche Core-Erfahrung ist das Projection-Mapping, und da kommt das alles her.

artundweise: Und was siehst du in 25 Jahren? Da kann nämlich ein Lichtstrahl von hier bis zum Orion und halb wieder zurück fliegen. Fliegst du da mit?

Thorsten Bauer: Ja, ich weiß nicht, ob ich es sein werde, aber es werden Leute mitfliegen, weil sich die ganze Frage der physischen Präsenz und des ”Bin ich da gewesen?“ vollkommen neu beantworten lässt. Weil sich sozusagen, glaube ich, wo ein Verständnis, das rein physisch interpretiert ist – also: “Ich muss da sein auch mit Physis”) – das wird sich sukzessive auflösen. Was du beschreibst, wird wahrscheinlich ein Laserstrahl sein, und dann kannst du irgendwie da sein. In der ein oder anderen Form, die ich jetzt noch nicht genau weiß. Aber damit kann es auch tatsächlich sein, dass einer von uns nochmal auf dem Orion gewesen ist. Nur wahrscheinlich nicht mit dem Körper.

artundweise: Also Stephen Hawking schlägt vor, da Segel hinzuschicken. Die werden angetrieben durch massive Laserstrahlen auf der Erde. Irgendwann reißt die Kraft der Photonen für den Antrieb ab, da müssen sie dann mit dem gewonnenen Schwung allein weitersausen. Da darf dann nur so eine Sonde dranhängen, die nur wenige Gramm wiegt, sonst ist das alles zu träge. Das ist jedenfalls das Beste, was wir aktuell theoretisch so hinkriegen.

Thorsten Bauer: Ich habe letztens gehört, das gesamte Internet besteht ja aus Elektronen. Es gibt ja tatsächlich eine physische Repräsentanz aller Informationen.

artundweise: Die aber sehr unscharf ist – nach Heisenberg.

Thorsten Bauer: Ja, aber es ist eine Ordnung von Elektronen in einer räumlichen Sphäre – in den meisten Fällen. Und alle Daten ergeben dann zusammengenommen das Gewicht von einer Erdbeere. Daten wiegen nur wenige Gramm.

artundweise: Du hast jetzt gerade mal sämtliche Transistoren der Welt ausgeschüttelt und das ergibt gerade mal eine Erdbeere?

Thorsten Bauer: Richtig, genau. Alle Festplatten, Transistoren und Halbleiter ausgeschüttet und die Elektronen alle zusammengeknetet, ergeben das Gewicht einer Erdbeere. Also kann Hawking an seinen Segeln das gesamte Internet mitschicken.

artundweise: Dafür müssten die Elektronen dann sehr eng zusammenbleiben. Meinst du, er schafft das, die auf so ein Häufchen zu schaffen? Dafür bräuchte man dann ganz spezielle Besen. Die müssten wir bauen, aber wenn wir die Besen haben, dann frieren wir diesen Haufen vielleicht erstmal ein. Dann kann das im Orion wieder aufgetaut werden. Da wird es ja wieder warm.

Thorsten Bauer: Also die ganze physische Präsenz wird sich neu gliedern. Dann werden die Maschinen immer besser gelernt haben, Aufgaben zu erfüllen, die vom Menschen noch fehlerhaft gemacht werden. Der Mensch wird unglaublich weit rausgedrängt sein aus sehr vielen Kontexten – aus dem, was wir heute noch Arbeit nennen. Dafür wird es auch eine neue Erfindung geben. Die Idee von Arbeit wird sich überhaupt noch einmal neu finden. Auf jeden Fall wird der identitätsstiftende Aspekt ausgedient haben.

artundweise: In 25 Jahren schon?

Thorsten Bauer: Ja. Also der Begriff Arbeit natürlich nicht, aber Arbeit ist ja sehr viel mehr. Ganz früher hat man ja die Nachnamen vom Beruf abgeleitet, wie Cook, oder ich heiße Bauer. Da warst du nicht nur Landwirt – du bist ein Bauer gewesen. Also die Identifikation mit dem, was du tust, war noch enger als heute und das wird sich ganz, ganz stark auflösen, glaub ich. Es reicht auch nicht mehr aus, um eine Person zu identifizieren, weil es so dünn geworden ist. Also in den Bereichen, in denen wir vollständig tragen. Aber ich finde es viel interessanter, sich heute den Gegenimpuls anzugucken. Zum Beispiel der Button ”I’m a human“ auf Websites mit einem Formular, wo ich bestätigen muss, dass ich kein Roboter bin. Neben der ganzen Rationalisierung, Digitalisierung der Kontexte wird das eine Bewegung ergeben, die kann man jetzt schon sehen, der Abgrenzung davon und der neuen Identitätsbildung. ”Ich bin human, und ich bin Toddy und ich definiere mich durch soundso.“ Das wird ganz viel Mühen und Energie auf sich ziehen, diese Darstellung eines Menschen nach außen zu transportieren. Und nicht nur des Menschen, sondern auch des Menschlichen.

So wie ich übrigens glaube, dass Content Marketing heute schon der Nachweis für “I’m human“ ist, weil ein Redakteur sich auseinandersetzen muss und damit eine Zeit seiner Lebenszeit opfert – sozusagen der Blutzoll für Formen die sagen ”I’m real. I’m not a robot. Und ich bin authentisch und reliable.“ DAS ist Content Marketing.

artundweise: Reliable – ok, da ist das Etikett Vertrauenswürdigkeit. Durch diese Verlässlichkeit könnte uns kulturell ein wichtiger Aspekt verloren gehen: die Überraschung. Jedenfalls wenn die Kultur nur noch von Maschinen, also mainstreamig bedient wird. Das ist ein Prädikat, was Menschen in Zukunft auszeichnet: ihre Unberechenbarkeit.

Thorsten Bauer: Absolut. Das wird so sein.

artundweise: ”Ich bin Toddy. Ich bin unberechenbar.“

Thorsten Bauer: Absolut.

artundweise: Und das ist auch buchstäblich so. Also nicht kalkulierbar – kein Algorithmus kann mich berechnen. Ich bin unberechenbar. Ich habe mir aufs Knie geschlagen, damit mein Gang nicht analysiert werden kann, wenn ich durch die Londoner Innenstadt gehe. Damit ich nicht erfasst werde.

Thorsten Bauer: Das heißt, es würde auch nochmal eine ganz große Renaissance von halluzinogenen Drogen geben. Die helfen außerhalb eines erkennbaren Musters zu funktionieren. Ich habe letztens gelesen, dass Leute angefangen haben sich Mikro-Dosen LSD morgens zu geben. Das ergibt nur ganz leichte Rauschzustände mit so einem Knispeln, wie so eine Cola. Das war sehr ernst, das war kein Scherz. Damit erreichen die Leute so einen Erregungszustand auf einer leichten Ebene über den gesamten Tag. Und damit waren die konzentrierter und kreativer.

artundweise: Da bekommt Selbstoptimieren eine ganz andere Qualität. Nicht mehr nur dieses ”Ich messe und ich gucke, wie ich so bin.“ Dann ist es ein geschlossener Kreislauf: Es guckt, wie ich bin und tut auch gleich was dagegen.

Thorsten Bauer: Aber zurück zur Frage: Wenn es denn so weitergeht mit der Rationalisierung der Welt? Ist das nicht dann eine sehr provokante, weil eben nicht kritische Frage? Ist es nicht möglich, dass wir da auch gezwungen sein werden, als Menschen zu unserem menschlichen Kern vorzudringen. Also in der Auseinandersetzung immer weiter mit der Frage uns beschäftigen “Was zeichnet mich eigentlich aus?”. Wir hatten gerade das Wort unberechenbar. Also, was ist sozusagen der Unterschied dieser beiden exponentialen Kurven, die ja fast wie eine Linie nebeneinanderstehen. Was ist eigentlich der Unterschied zu der Maschine und damit auch zu einem menschlichen Kern von uns vorzudringen.

Gestern habe ich gerade diesen bescheuerten Film Oblivion mit Tom Cruise gesehen. Er ist auf dem Mars und entdeckt, dass er eine Million Mal existiert, weil er irgendwann mal geklont wurde.

Dann wurde er vom gegnerischen Underground, von den noch Überlebenden, der sich in Höhlen verschanzenden Szene entdeckt und identifiziert, weil er irgendwann mal einen alten Shakespeare-Band gelesen hat und über die Menschlichkeit was gelesen hatte. Also genau zu diesem schon ausgebreiteten Thema. Also sind wir schon längst da. Diese Fiktion und das Bild drängt uns auch und zwingt uns, uns damit auseinanderzusetzen, was uns als Menschen im Urkern eigentlich ausmacht. Und das ist gar keine so schlimme Vorstellung – ausschließlich. Wir werden alle keine Arbeit mehr haben, und darauf müssen wir eine Antwort finden. Das bedeutet übrigens nicht, dass Wohlstand wegbricht. Es könnte bedeuten, dass Wohlstand sich vollständig in der Schere auf Einzelne kondensiert hat, aber das Bruttosozialprodukt wird ja aufrechterhalten. Es wird dann noch gewirtschaftet, nur ohne dass wir daran teilhaben. Egal. Die Frage ist, ob das nun ein Schreckensszenario ist oder auch in der Auseinandersetzung zuträglich ist, was uns im Wesen als Menschen auszeichnet.

artundweise: Die Generationen vor uns, die haben versucht ihren Kindern beizubringen berechenbar zu sein – für sich selbst das Leben zu berechnen. Und unser Style wird sein, unberechenbar zu sein. Weil das der einzige Unterschied ist, den wir noch haben. Wenn die ganzen Pfleger und Autofahrer und text-schreibende Menschen, wenn die alle durch Google & Co. ersetzt werden…

Thorsten Bauer: Aber die Kreativität ist auch etwas Unberechenbares.

artundweise: Nein, Kreativität ist hier auch schon drin. Die Geschichtenerzähler, Drehbuch-Autoren… Also die Lösung für alle Probleme ist die Unberechenbarkeit und zwar buchstäblich.

Thorsten Bauer: Jein. Ich meine, das Wort ist eigentlich schön, das kann man dafür schon nehmen. Also es gibt bei den Drehbüchern eine erfolgreiche Reproduktion einer Dramaturgie, mit irgendeiner Systematisierung, die dahinterliegt. Das ist noch nichts Neues. Also ”das Unberechenbare“ ist ja auch gleichzusetzen mit ”ist in der Lage etwas Neues zu erschaffen“, wenn man das so formulieren will. Aber auf der anderen Seite, um wieder auf Welle und Teilchen zu kommen, sind wir wieder bei der Quanten-Nummer, die sich eben unberechenbar verhält. Das ist ja gerade das Interessante daran, dass auf der Seite auch die Physik und die Naturwissenschaften schon längst angekommen sind, zu bemerken, dass es da Phänomene gibt, die nicht mehr herleitbar sind und sich auch vollständig unserem Kontext entziehen. Also es gibt dieses Unberechenbare als ein Faktum in der Welt – als etwas Tatsächliches. Es ist nicht nur die letzte Ecke, auf die wir uns zurückziehen, um irgendwie noch wer zu sein, als Menschen. Sondern das, was wir da umkreisen, das ist gerade am Kommen und das entdecken wir gerade.

Danke für das Gespräch!